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Technikfolgenabschätzung



In der sozialistischen Wirtschaftslehre: Abschätzung der Folgen technologischer Entwicklungen für Mensch und Umwelt. Nuklearkatastrophen, Tanker- und Chemieunglücke haben während der letzten Jahre zu großen Umweltkatastrophen geführt. Die Risiken und Kosten dieser Katastrophen tragen nicht die verursachenden Monopole sondern die Gesellschaft. >Ökologie

In der Umweltwirtschaft:

1. Einleitung

Angesichts einer Bevölkerung von über sechs Milliarden Menschen und einer Flut individueller Ansprüche an Gesundheit, Konsum und Lebensqualität ist der moderne Mensch mehr den je auf Technik angewiesen. Gleichzeitig ist die ganze Menschheit aber durch die Auswirkungen der Technik auf Umwelt, Sicherheit und Sozialleben bedroht. Zentral für die weitere Entwicklung des technischen und sozialen Wandels ist daher die Frage: Wie viel Technik und welche Art von Technik will die Gesellschaft einsetzen und welche Vor- und Nachteile handeln sich die Menschen damit ein? Wo befreit die Technik von Zwängen des Alltags und wo spannt sie die Menschen in ein neues Korsett von Abhängigkeiten und Lebensrisiken ein? Wie sollte eine Technik aussehen, die wirtschaftlich vorteilhaft, risikoarm und ökologisch verträglich ist? Gibt es so etwas überhaupt? Auf all diese Fragen versucht die Technikfolgenabschätzung eine Antwort zu geben.

Technikfolgenabschätzung oder kurz TA genannt dient dem Ziel, durch wissenschaftliche Analysen die Konsequenzen, die mit dem Einsatz von Technik für die Gesellschaft verbunden sind, zu identifizieren und zu bewerten. Es geht um eine systematische Identifizierung und Bewertung von technischen, umweltbezogenen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und psychischen Wirkungen, die mit der Entwicklung, Produktion, Nutzung und Verwertung von Techniken einhergehen. Die Idee der TA besteht darin, im voraus die Konsequenzen technischer Handlungen antizipieren zu können und dadurch den dornenreichen Weg von Versuch und Irrtum zumindest weniger schmerzhaft zu gestalten, wenn nicht sogar vollständig zu vermeiden.

Ist eine solche Erwartung realistisch? Wenn auch der Anspruch auf Antizipation und Vermeidung von Irrtümern unmittelbar mit dem Auftrag der TA verbunden ist, so läßt sich dieser Anspruch nur zum Teil einlösen. Das liegt vor allem an zwei Problemen: Ambivalenz und Unsicherheit. In der Regel wird das Problem der Unsicherheit mit der Frage der Erforschung der Technikfolgen (Prognose), das der Ambivalenz mit der Bewertung verbunden. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, daß beide Problembereiche sowohl auf die Prognose als auch auf die Bewertung einwirken. Sie erschweren eine exakte Prognose der Technikfolgen und verhindern eine nachvollziehbare Bewertung der Technikfolgen über alle Parteien und -Interessengruppen hinweg.

2. Ambivalenz und Unsicherheit: Der Schleier vor der Erkenntnis

Die Hoffnung auf Vermeidung von negativen Technikfolgen ist trügerisch, weil es keine Technik gibt, nicht einmal geben kann, bei der nur positive Auswirkungen zu erwarten wären. Dies klingt trivial. Ist es nicht offensichtlich, daß jede Technik ihre guten und schlechten Seiten hat? Die Anerkennung der Ambivalenz besagt aber mehr, als daß sich die Menschheit mit Technik weder das Paradies noch die Hölle erkaufen kann. Es ist eine Absage an alle kategorischen Imperative und Handlungsvorschriften, die darauf abzielen, Techniken in moralisch gerechtfertigte und moralisch ungerechtfertigte aufzuteilen. Es gibt keine Technik mit lauter positiven oder lauter negativen Technikfolgen, gleichgültig welche Technik man im einzelnen betrachtet. Bei jeder neuen technischen Entscheidung ist die Gesellschaft angehalten, immer wieder von neuem die positiven und negativen Folgepotentiale gegeneinander abzuwägen. Auch die -Solarenergie hat ihre Umweltrisiken, wie auch die Kernenergie ihre unbestreitbaren Vorteile aufweist. Ambivalenz ist das Wesensmerkmal jeder Technik. Folgt man dieser Gedankenkette weiter, dann bedeutet institutioneller Umgang mit Ambivalenz, daß Techniken weder ungefragt entwickelt und eingesetzt werden dürfen, noch daß man jede Technik verbannen müsse, bei der negative Auswirkungen möglich sind.

Gefragt ist also eine Kultur der Abwägung. Zur Abwägung gehören immer zwei Elemente:

Wissen und Bewertung. Wissen sammelt man durch die systematische, methodisch gesicherte Erfassung der zu erwartenden Folgen eines Technikeinsatzes (Technikfolgenforschung). Bewertung er-folgt durch eine umfassende Beurteilung von Handlungsoptionen aufgrund der Wünsch-barkeit der mit jeder Option verbundenen Folgen, einschließlich der Folgen des Nichtstun, der sogenannten Nulloption (Technikfolgenbewertung). Eine Entscheidung über Technikeinsatz kann nicht allein aus den Ergebnissen der Folgenforschung abgeleitet werden, sondern ist auf eine verantwortliche Abwägung der zu erwartenden Vor- und Nachteile auf der Basis nachvollziehbarer und politisch legitimierter Kriterien angewiesen. Für das erste Element, die Technikfolgenforschung, braucht man ein wissenschaftliches Instrumentarium, das es erlaubt, so vollständig, exakt und objektiv wie möglich Prognosen über die zu erwartenden Auswirkungen zu erstellen. Für das zweite Element benötigt man Kriterien, nach denen man diese Folgen intersubjektiv verbindlich beurteilen kann. Solche Kriterien sind nicht aus der Wissenschaft abzuleiten: sie müssen in einem politischen Prozeß durch die Gesellschaft identifiziert und entwickelt werden.

Beide Aufgaben wären weniger problematisch, gäbe es nicht das zweite Problem aller Prognostik: die unvermeidbare Ungewißheit über Inhalt und Richtung der zukünftigen Entwicklung. Wenn die TA-Experten in der Tat im voraus wüßten, welche Folgen sich mit bestimmten Technologien einstellen, fiele es allen leichter, eine Abwägung zu treffen und auch einen Konsens über Kriterien zur Beurteilung von Folgen zu erzielen. Doch die Wirklichkeit ist komplizierter. Technikeinsatz ist immer mit unterschiedlichen Zukunftsmöglichkeiten verbunden, deren jeweilige Realisierungschance sich überwiegend einer gezielten Kontrolle entzieht. Die Frage ist, inwieweit sich die Gesellschaft auf die Gestaltung von riskanten Zukunftsentwürfen einlassen und sich von den nicht auszuschließenden Möglichkeiten negativer Zukunftsfolgen abschrecken lassen will. Wie viel Möglichkeit eines Nutzens ist wie viel Möglichkeiten eines Schadens wert? Die erste und einfachste Lösung bestünde darin, erst gar keine Risiken zu übernehmen. Diese Aussicht mag manche Nostalgiker in Verzückung bringen, aber der Preis wäre eine Duldung von Leiderfahrungen, von denen jeder wüßte, daß sie im Prinzip vermeidbar sind. Pauschal auf Technik und damit auf Risiken zu verzichten, ist wohl kaum der gesuchte Ausweg aus dem Abwägungsdilemma unter Ungewissheit. Stattdessen ist es notwendig, die erwartbaren positiven und negativen Konsequenzen des Technikeinsatzes miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen - trotz der prinzipiellen Unfähigkeit, die wahren Ausmaße der Folgen jemals in voller Breite und Tiefe abschätzen zu können. Technikfolgenabschätzung kann dabei helfen, die Dimensionen und die Tragweite menschlichen Handelns wie Unterlassens zu verdeutlichen. Sie kann aber weder die Ambivalenz der Technik auflösen noch die zwingende Ungewissheit über die Zukunft außer Kraft setzen. Sie kann bestenfalls dazu beitragen, Modifikationen des technischen Handelns vorzuschlagen, die bessere Entscheidungen nach Maßgabe des verfügbaren Wissens und unter Reflexion des erwünschten Zweckes wahrscheinlicher machen.

3. Unsicherheit und Ambivalenz bei der Folgenforschung

Der erste Schritt jeder Technikfolgenabschätzung besteht in einer möglichst genauen und unparteiischen Analyse der Folgepotentiale, die mit der Verwirklichung einer technischen Systemlösung (inklusive der organisatorischen und sozialen Begleiterscheinungen) zu erwarten sind. Mehr als Potentiale kann keine Folgenforschung aufzeigen, denn es liegt ja an den Akteuren und an den jeweiligen Randbedingungen, welche Möglichkeiten sich letztendlich in der Realität durchsetzen werden. Aber selbst wenn sich TA auf die Analyse von Potentialen im Sinne der Begrenzung von Zukunftsmöglichkeiten beschränkt, wird sie nur unzulänglich mit dem Problem der Ungewißheit fertig. Diese Ungewißheit drückt sich in den folgenden Problemen von Prognosen aus:

Nicht überschaubare Komplexität bei den vermuteten Ursache-Wirkungsketten;

die Existenz genuin stochastischer Prozesse in Natur, Wirtschaft und Sozialwesen;

Nicht-Linearitäten (chaotische Systeme) bei physischen Wirkungszusammenhängen, vor allem im Bereich der –Ökologie;

die Existenz von Überraschungen (nicht vorhersehbare singuläre Ereignisse);

die prinzipielle Unfähigkeit des Prognostikers, den Wandel des wissenschaftlichen und technischen Wissens vorherzusehen;

die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, über längere Zeiträume Wertewandel und Zeitgeistveränderungen in einer Gesellschaft zu prognostizieren.

Die methodisch ausgerichtete TA macht zunehmend Fortschritte bei der systematischen Erforschung von ungewissen Folgepotentialen und der Bearbeitung der oben aufgezeigten Unsicherheitsbereiche. Allerdings kann sie viele der hier nur angerissenen Probleme nur ansatzweise in den Griff bekommen. Neben den genuinen Unsicherheiten, die mit komplexen Ursache-Wirkungsketten verbunden sind, tritt noch der Effekt des Voluntaristischen. Akteure haben es zum Teil in der Hand, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Eine Prognose der Zukunft muß also immer die Intentionen der handelnden Menschen und die mit den Versuchen der Umsetzung von Intentionen verbundenen Folgewirkungen (Kontingenzen) einbeziehen. Dies kann aber nur sinnvoll gelingen, wenn man die Akteure in die Erforschung der Folgen einbezieht. Dabei reicht es nicht aus, sie mit Hilfe der Sozialforschung zu befragen, denn Antizipation von Folgen setzt offenkundig die Simulation von Wissenserwerb und Erfahrungserweiterung der Akteure voraus. Insofern fallen im Idealfall Prognostik und Gestaltung zusammen. Im Rahmen des Potentials an rnöglichen Folgen wird sich auf Dauer das durchsetzen, was Akteure in gemeinsamer Gestaltungsarbeit als realistisch, wünschenswert und machbar wahrnehmen und umsetzen. Daß sie dabei auf Grenzen stoßen und daß nicht intendierte Folgen manches von dem konterkarieren, was intentional erstrebt wurde, ändert nichts an der grundlegenden Einsicht, daß Zukunft nicht geschieht, sondern weitgehend gemacht wird. Je mehr der TA-Forscher oder die TA-Forscherin an diesem Gestaltungsprozeß teilhaben kann oder sogar die Arena für diesen Prozeß mit bereitstellt, desto eher sind verläßliche Prognosen über Folgen zu erstellen, wobei zusätzlich die Kontextbedingungen mit verarbeitet werden müssen.

4. Unsicherheit und Ambivalenz bei der Folgenbewertung

Wie sieht es nun mit der Technikbewertung aus? Die Ergebnisse der Technikfolgenforschung bilden die faktische Grundlage und kognitive Unterfütterung für die Technikbewertung. Eine solche Bewertung ist notwendig, um anstehende Entscheidungen zu überdenken, negativ erkannte Folgen zu mindern und mögliche Modifikationen der untersuchten Technik vorzunehmen. Die Einbindung faktischen Wissens in Entscheidungen wie auch die umfassende Bewertung von Handlungsoptionen (technische und organisatorische) können beide im Prozeß der Technikbewertung nach rationalen und nachvollziehbaren Kriterien gestaltet werden, so wie es in den einschlägigen Arbeiten zur Entscheidungslogik dargelegt wird.

Das Prinzip der Entscheidungslogik ist einfach: Kennt man die möglichen Folgen und die Wahrscheinlichkeiten ihres Eintreffens (oder besser gesagt: glaubt man sie zu kennen), dann beurteilt man die Wünschbarkeit der jeweiligen Folgen auf der Basis der eigenen Wertorientierungen. Man wählt diejenige Variante aus der Vielzahl der Entscheidungsoptionen aus, von der man erwartet, daß sie das höchste Maß an Wünschbarkeit für den jeweiligen Entscheider verspricht. Die Entscheidung erfolgt auf der Basis von Erwartungswerten, wohl wissend, daß diese erwarteten Folgen aller Voraussicht nach so nicht eintreffen werden.

So intuitiv einsichtig das Verfahren der Entscheidungslogik ist, eindeutige Ergebnisse sind auch bei rigoroser Anwendung nicht zu erwarten. Das liegt zum ersten daran, daß die Menschen in unterschiedlichem Maße unsicher sind über die Wünschbarkeit von einzelnen Folgen. zum zweiten daran, daß diese Folgen auch andere betreffen, die wiederum ihre eigenen Wertorientierungen besitzen und deshalb zu anderen Entscheidungen kommen, und schließlich daran, daß sich Menschen in unterschiedlichem Maße risikoaversiv (von risikofreudig bis risikoscheu) verhalten.

Ähnlich wie sich bei der Folgenforschung Ambivalenz und Ungewißheit zeigen, so gewinnt man auch bei der Analyse der Bewertungslogik die Einsicht, daß selbst bei identischen Wertorientierungen, also einem Konsens über Wünschbarkeiten, die Lösung nicht eindeutig bestimmbar ist. Das Denken in Risiken zwingt den TA Analytiker, eine legitime Vielfalt von Bewertungsstrategien zu akzeptieren. Es gibt keinen hinreichenden, intersubjektiv zwingenden Grund, sich für eine risikoaversive oder eine risikoneutrale Entscheidungslogik zu entscheiden. Beides ist möglich und mit guten Gründen zu belegen. Diese Ambivalenz beruht also auf normativen Festlegungen, wie ein Individuum oder eine Gruppe mit einem Risiko umgehen will und welche Präferenzen (risikofreudig -aversiv oder -neutral) vorherrschen.

Diese Ambivalenz, die sich aus der Entscheidungslogik ergibt, gewinnt natürlich noch dadurch an Schärfe, daß die Annahme identischer Wertorientierungen und Interessen in einer pluralistischen Gesellschaft völlig realitätsfremd ist. Natürlich werden einzelne Gruppen die jeweiligen Folgen unterschiedlich bewerten, je nach dem wie stark sie betroffen sind und welche Folgen sie hoch bzw. gering schätzen. Umweltschützer werden besonderes Gewicht auf die Umwelt und Unternehmer auf die Wettbewerbsfähigkeit legen. Wenn auch beides miteinander zusammenhängt, so kann niemand ex cathedra behaupten, der eine habe mehr Recht auf seine Werteprioritäten im Vergleich zu denen anderer Menschen oder Gruppen.

5. Die Notwendigkeit von diskursiven Prozessen

Um die Herausforderungen der Ambivalenz und Unsicherheit zu begegnen, ist Technikfolgenabschätzung auf einen diskursiven Prozeß der Wissenserfassune und der Wissensbewertung angewiesen. Diskurse sind keine Allheilmittel für alle Probleme unserer Zeit. Ebenso wenig können Diskurse die Probleme von Unsicherheit und Ambivalenz der Folgenforschung und -bewertung aus der Welt schaffen Die Tatsache, daß sich Konfliktparteien um einen runden Tisch versammeln und miteinander sprechen, hat für sich allein genommen kaum dazu beigetragen, einen Sachverhalt zu klären, zu neuen Einsichten zu gelangen oder einen Konflikt zu lösen. Vielmehr ist es wesentlich, daß in einem solchen diskursiven Verfahren die Sachfragen auf der Basis nachvollziehbarer Methodik geklärt, die Bewertungsfragen erörtert und die Handlungsfolgerungen konsistent abgeleitet werden.

Diskurs und Konsensorientierung werden in der Öffentlichkeit oft missverstanden. Diskurs bedeutet nicht: Einigung auf den kleinsten, meist trivialen Nenner. Es geht vielmehr um einen Gestaltungsprozeß, bei dem die Argumente in aller Klarheit und, wenn notwendig, auch in aller Schärfe ausgetauscht und die unterschiedlichen Werte und Interessen dargelegt werden. Häufig enden diese Diskurse nicht mit einem Konsens, sondern mit einem Konsens über den Dissens. In diesem Falle wissen alle Teilnehmer, warum die eine Seite für eine Maßnahme und die andere dagegen ist. Die jeweiligen Argumente sind dann aber im Gespräch überprüft und auf Schwächen und Stärken ausgelotet worden. Die verbleibenden Unterschiede beruhen nicht mehr auf Scheinkonflikten oder auf Fehlurteilen, sondern auf klar abgrenzbare Differenzen in der Bewertung von Entscheidungsfolgen. Das Ergebnis eines Diskurses ist mehr Klarheit, nicht unbedingt Einigkeit.

Selbst wenn es gelingt, alle diese Diskurse ergebnisorientiert und effizient zu führen, so werden sie dennoch keine akzeptablen Lösungen hervorbringen, wenn die Probleme von Ambivalenz und Unsicherheit nicht selbst zum Thema gemacht werden. Technikanwendern wie Technikbetroffenen muß deutlich werden, daß mit jeder Technikanwendung Risiken verbunden und Schäden auch bei bester Absicht und größter Vorsorge nicht auszuschließen sind. Dies darf keine Entschuldigung für fehlerhaftes Verhalten der für Sicherheit zuständigen Institutionen sein. Aber es muß allen Beteiligten klar sein, worauf man sich bei neuen Techniken einläßt und welche Potentiale damit einhergehen - im guten wie im schlechten. Garantien sind nicht zu geben, allenfalls kann man über Kompensationen im Sinne von Haftungsrecht und Versicherungswesen nachdenken. Erst die Bewußtmachung der verbleibenden Risiken eröffnet neue Strategien, kreativ und vorsorgend mit Ambivalenz und Ungewißheit umzugehen.

Was ergibt sich aus dieser Problemsicht für die Durchführung von Technikfolgenabschätzungen? Erstens Technikfolgenabschätzung muß sich immer an der Ambivalenz und Folgenunsicherheit der Technik orientieren. Dabei muß sie zweitens zwischen der wissenschaftlichen Identifizierung der möglichen Folgen und ihrer Bewertung funktional trennen, dabei jedoch beide Schritte diskursiv miteinander verzahnen. Schließlich sollte sie ein schrittweises, rückkopplungsreiches und reflexives Vorgehen bei der Abwägung von positiven und negativen Folgen durch Experten, Anwender und betroffene Bürger vorsehen. Eine so verstandene Technikfolgenabschätzung setzt eine enge Anbindung der Folgenforschung an die Folgenbewertung voraus, ohne jedoch die funktionale und methodische Differenzierung zwischen diesen beiden Aufgaben (Erkenntnis und Beurteilung) aufzugeben. Eine solche Verkoppelung ist notwendig, um im Schritt der Bewertung die Probleme der Ambivalenz und der Ungewißheit bei der Folgenforschung und Folgenbewertung angemessen zu berücksichtigen. Umgekehrt müssen auch schon bei der Identifikation und Messung der Folgepotentiale die letztendlichen Bewertungskriterien als Leitlinien der Selektion zugrunde gelegt werden. So wichtig es ist, die Methoden der Erkenntnisgewinnung und der Folgenbewertung nicht zu vermischen, so wichtig ist aber auch, die enge Verzahnung zwischen diesen beiden Bereichen anzuerkennen, weil Technikfolgenforschung ansonsten in einer unsicheren Welt nicht mehr leistungsfähig und wirklichkeitsnahe wäre.

Ob es gelingen wird, den Problemen der Unsicherheit und Ambivalenz in diskursiven Verfahren zu begegnen, ohne sie auflösen zu können, hat nicht nur Einfluß auf die Zukunft der Technikfolgenabschätzung als Mittel der Zukunftsvorsorge, sondern wird auch maßgeblich die Möglichkeiten bestimmen, ob und in wie weit moderne Gesellschaften in Zeiten schneller technischen Wandels in eigener Verantwortung und mit Blick auf die als wesentlich erkannten Werte des Menschsein handlungsfähig bleiben können.


Weiterführende Literatur:

Bullinger, H.- J.: Was ist Technikfolgenabschätzung? Einführung und Überblick, in: Bullinger, H.- J. (Hrsg.): Technikfolgenabschätzung, Stuttgart 1994; Krupp, H.: Technikfolgenabschätzung. Grundprobleme und Fallbeispiele, in: Ropohl, G. (Hrsg.): Maßstäbe der Technikbewertung, Düsseldorf 1979; Petermann, T.: Historie und Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung, in: Bullinger, H.- J. (Hrsg.): Technikfolgenabschätzung, Stuttgart 1994; Renn, 0.: Technik und gesellschaftliche Akzeptanz. Herausforderungen der Technikfolgenabschätzung. GALA Ecological Perspectives in Science, Humanities and Economics, Heft 2, Nr. 2, o. 0., 1993; Renn, 0.: Glanz und Elend technischer Prognosen, in: Köhler, W. (Hrsg.): Was kann Naturforschung leisten? Abhandlungen der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Band 76, Nr. 303, Halle 1997; Shrader-Frechette, K. S.: Risk Analysis and Scientific Method: Methodological and Ethical Issues with Evaluating Societal Risks, Dordrecht 1985.

Als TA-Analysen bezeichnet man Untersuchungen, die darauf gerichtet sind, die Auswirkungen der erstmaligen Anwendung neuer oder in der Entwicklung befindlicher bzw. der verstärkten oder modifizierten Anwendung bekannter Technologien (einschließlich sozialer Technologien) systematisch zu erforschen und zu bewerten, wobei das Schwergewicht auf die unbeabsichtigten, oft mit beträchtlicher Verzögerung eintretenden Sekundär- und Tertiäreffekte gelegt wird. TA-Untersuchungen sollen die Effekte der Technologieanwendung in möglichst allen (betroffenen) Teilbereichen der Gesellschaft und ihrer natürlichen Umwelt voraussehen, abschätzen und bewerten. Die im Verlauf von TA-Analysen getroffenen Auswahlentscheidungen und Werturteile sind in hohem Maße von den subjektiven Einschätzungen der Analytiker und ihrer Auftraggeber abhängig; Ergebnisse von TA-Untersuchungen sind daher weder neutral noch objektiv. Weil sie aber intersubjektiv verständlich und nachvollziehbar sind, kann man sie als »objektiviert«. bezeichnen.

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